Nachhaltig nachhaltiger werden

von Kim Beyeler

April 2024

Das könnte eine einfache Geschichte sein. Eine mit Anfang und Ende, Problem sucht Lösung und findet sie, dazwischen ein paar Widrigkeiten und viel Heldentum, ein bis zwei Plottwists und zum Schluss kommt eine Heldin des Alltags, verschnürt den Güselsack, löscht das Licht und trägt ihn raus. Und drin ist auch keine Leiche (Coen Brothers können wir uns nicht leisten).

Die Geschichte ginge vielleicht so: Anno 2019 entdeckt die Welt, dass es den Klimawandel gibt. 2020 wird ein Bericht geschrieben, in dem Nachhaltigkeit definiert wird. 2021 sitzen wir bei smartive zusammen und schauen, was das für uns heisst. 2022 setzen wir's um. Im Hintergrund erklingt dieses Bing!, welches früher die fertig gebrannte CD ankündigte (hello, fellow kids), et voilà: 100% nachhaltig!

Schön wär's. Oder auch nicht, denn: Was bliebe dann überhaupt noch zu tun? Und sowieso: Happyend ist ja gut und recht, aber das spannender ist, am Plot mitzuschreiben.

Prolog

Uns gibt's seit 2012. Also 188 Jahre zu spät für die Entdeckung des Treibhauseffekts und 116 für das erste Klimamodell, immerhin 40 für die Diskussion um Grenzen des Wachstums und auch der Begriff Nachhaltigkeit wurde schon in den 1980er geprägt. Mit ESG ging's 2004 richtig los, und der IPCC hatte vor 12 Jahren bereits vier fette Berichte herausgebracht.

Seither hat das Thema aber weiter an Aktualität gewonnen. Anlass genug, uns zu fragen: Ist smartive nachhaltig?

Nun, wir bauen digitale Produkte, keine Dieselmotoren. Und zwar qualitativ hochwertige, soll heissen: laufen eine Weile. Ausserdem hat das Wohl der Mitarbeitenden hohe Priorität, die Firma steht auf soliden Beinen und gehört den Mitarbeitenden. Am Sommerfest wird Veganes serviert. Klingt eigentlich ganz nachhaltig, oder?

Wir könnten also hier den Sack zumachen und uns auf die Schulter klopfen: Passt schon. Aber wir wären nicht smartive, wenn nicht jemand aufstehen würde und sagen: Der Sack ist ein Fass! Lasst es uns aufmachen und prüfen, ob es einen Boden hat!

Recap: Daten! Mehr Daten! Alle Daten!

Wir schreiben das Jahr 2021, als wir zur Nachhaltigkeits-Reise aufbrechen. Um unseren Effort auf eine solide Basis zu stellen, holen wir externe Beratung ins Boot. Bald wird klar: Das S (social) und das G (corporate governance) in ESG müssen wir nicht nochmals aufrollen – für gute Arbeitsbedingungen tun wir schon viel, und auch in puncto Unternehmensführung ist gerade eine Menge gelaufen oder noch im Tun.

Bleibt E wie umw-Elt. Das grosse Datensammeln beginnt: Müll, Heizung, Recycling, Pendeln, Datacenter, Stromverbrauch, Events – alles wird durchleuchtet, geschätzt und berechnet, gestützt auf des Greenhouse Gas Protocol. Am Schluss steht eine Zahl: 42. Aber was war nochmals die Frage?

Erkenntnis 1: Man kann sehr viel Zeit investieren, um Umweltauswirkungen zu beziffern. Das ist aufwendig, insbesondere für KMUs. Das Resultat hat aber begrenzte Aussagekraft, denn es fehlt eine einheitliche Vergleichsbasis.

Was tun?

Mit Transparenz ist zwar schon viel getan, aber gleichzeitig ist noch nichts getan. Wir gehen also zur Ernte über und schütteln die Daten, bis Themen herausfallen, die wir bearbeiten können. Das war vor zweieinhalb Jahren.

Beim Schütteln und Sieben ist eine ganz besondere Taktik gefragt, das sogenannte Hebel-vom-Spreu-Trennen: Wir suchen nach Auffälligkeiten, an denen wir rumhebeln können. Zusammen mit einem von der Stadt Zürich gestellten Berater identifizieren wir Handlungsfelder:

  • Stromverbrauch
  • Müll
  • Heizung & Lüftung
  • Konsum (v.a. Möbel)

Erkenntnis 2: Es gibt immer etwas zu tun. Wir stehen zwar gut da (und vieles liegt nicht in unserer Macht), haben aber eine Menge Dinge gefunden, die sich anzugehen lohnen. Und einige davon sind nicht mal besonders schwierig.

Etwas tun!

Um Veränderungen einzufädeln, Abläufe zu verbessern und Prozesse am Laufen zu halten, braucht es ein Gefäss. Wir bilden ein Grüppli (also eine Rolle, wie das bei smartive heisst), das sich regelmässig trifft und sich die Themen vornimmt. Zwei Beispiele:

Wir überprüfen mögliche Massnahmen, um den Stromverbrauch zu senken – Ausserbetriebnahme eines Zusatzkühlschranks, Verbesserungspotenzial beim Heisswasser, Timing des Abschaltautomatismus für die Kaffeemaschine. Viel zu holen ist aber leider nicht, da wir gerade ein neues Büro bezogen und uns in diesem Zuge schon Gedanken gemacht haben, was wir benötigen. Für den Strom, den wir nun mal brauchen, wechseln wir auf Naturstrom und wir kaufen Solarzellen beim Stromversorger.

Beim Müll ist Mr. Green die Lösung für uns: Verwertbares kommt zusammen in einen Sack, der regelmässig abgeholt wird. Was dort hineingehört, wird allen kommuniziert und angeschrieben. Wir klären ab, ob wir einen Kompost anlegen können (schwierig) oder wenigstens eine separate Tonne aufgestellt werden kann (langwierig).

Erkenntnis 3: Nachhaltig ist nicht, was du denkst, sondern was du tust. Also los, und wenn's nicht funktioniert: Nicht verzagen, Iteration wagen. Kennen wir ja von Scrum.

Drüber reden

Dann gibt es noch das Feld des sollte-könnte-wäreschön – also die Dinge, bei denen sich kein Schalter umlegen lässt, Geld draufwerfen nichts bringt und wegorganisieren nicht geht. Die grossen Kisten mit Empfehlungsschreiben "gern einmal alles ändern, sonst Hitzesommer forever" und den Labels wie Bewusstsein und Verhaltensänderungen.

Aber eben: Grosse Kisten bergen auch viele Möglichkeiten für bessere Plots. Und schliesslich sind wir Techies und wissen, wie mit Komplexität umgehen: Divide and conquer. Nicht die ganze App aufs Mal umsetzen, Suche-und-Liken-und-Sorting-und-Login-und-Design-und-der-ganze-Rest, sondern entpacken auf eine bewältigbare Grösse: Eine Komponente für die Suche. Eine für den Like. Und die Umsetzung der Designelemente nochmals aufsplitten.

Da wäre zum Beispiel das Thema Essen. Pflanzen essen belastet die Umwelt massiv weniger als Tiere und Tierprodukte. Also ziehen wir doch bei Geschäftsanlässen Essen aus Pflanzen dem aus Tieren vor (was sogar bereits so gepflegt wurde 🎉). Bonus: Das spricht sich rum – gar nicht so schlecht, diese Vegi-Pitas!

Mit diesem Rückenwind widmen wir uns dem Thema Mobilität und Reisen, beginnen auszupacken und merken: Da kommen wir an eine Grenze. Das Umweltgrüppli schlägt einen Leitfaden vor, der den Zug nicht nur beim Pendeln (wo er – neben dem Velo – eh schon dominiert), sondern auch bei internationalen Reisen zu Kongressen dem Fliegen vorzieht. Mit guter Begründung: Das fällt wirklich ins Gewicht. Und tut nicht weh.

So sehen das allerdings nicht alle. Es gibt Diskussionen: Passen Verbote zu smartive? Andererseits: Ist es ein Verbot, wenn wir als Firma etwas nicht bezahlen? Im Leitfaden steht nun, dass wir grundsätzlich keine Flüge bezahlen – aber wenn eine schlechte Zuganbindung das erste Mal jemand vom Gang an eine Konferenz abhält, kann diese Regelung auch wieder hinterfragt werden.

Erkenntnis 4: Auch was nicht gelöst werden kann, muss auf den Tisch. Massnahmen, die aufs individuelle Verhalten abzielen, provozieren Diskussionen. Aber Diskussionen sind ja erwünscht: Bewusstsein entsteht nicht durch Vorschriften, sondern durchs Thematisieren.

Fazit

Im Jahr 2024 macht es nicht mehr Bing! und die CD ist gebrannt – die Playlist verändert sich fortlaufend. Serien sind die neuen Filme. Müllsäcke werden nicht am Ende des Films rausgetragen, sondern jede Woche. Und das hier ist eigentlich nur ein Zwischenfazit, denn der Prozess geht weiter.

Nachhaltigkeit lässt sich nicht auf Knopfdruck herstellen. Die Reise zu mehr Nachhaltigkeit braucht Austausch, Einsatz und manchmal mehrere Anläufe. Wir bleiben dran.


Habt ihr in deinem KMU ähnliche oder ganz andere Erfahrungen gemacht? Oder hast du einen Berg Zahlen, den du gern mit unserem vergleichen würdest? Oder du hast einen Plottwist anzubieten? Dann setz dich mit uns in Verbindung! 🤙🏃‍♂️📩

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